17.04.2015

Mühlengrundgeschichten

Der Mühlengrund Neu-Hohenschönhausen
im Wandel – eine (un)endliche Geschichte?
- Mühlengrundgeschichten -



von Gabriele Faehnrich

Gabriele Faehnrich am Brunnen.
Foto: Uwe Seibt
 
Einerseits war die Freude über eine Wohnung mit Bad, Fernwärme und Einbauküche da, als wir als Jungakademiker im Juli 1984 von der Gegend um den Kollwitzplatz in die Matenzeile in Berlin Hohenschönhausen zogen.
Aber außer der provisorisch angelegten Straße war nichts ...
Hinter den „Sechsgeschossern“ gab es eine Behelfsbaracke für Lebensmittel, eigentlich für die Bauarbeiter gedacht.

Foto: Thomas Seidel

Mein damals 4-jähriger Sohn ging weiter in die Kita am Wasserturm, damit unsere soziales Leben & Kontakte einigermaßen aufrecht erhalten wurden. Und so fuhren wir mit der einzigen Buslinie vom Weißensee, bepackt mit Einkäufen, in unser Zuhause.
Eine Erleichterung waren dann der Start der S-Bahnlinie Hohenschönhausen im Dezember 1984 und im Anschluss die Erweiterung der Straßenbahn- und Buslinien.

Ausstellung der Nadelhexe Sigena, 2015.
Foto: Uwe Seibt

1985 wurden die Vorgärten begrünt und ein Spielplatz gebaut. Im Herbst wurden die Kaufhalle und die Klubgaststätte Mühlengrund am „Dienstleistungswürfel“ mit Jugendclub eingeweiht. Das waren schon Fortschritte!
Endlich konnte man in nächster Nähe essen gehen oder abends einfach ohne Anfahrtswege ein Glas Wein trinken, außerdem war das Ambiente durch den Findlingsbrunnen ansprechend. Ein weiteres Highlight war die Bau des der Mühlenradbrunnens 1986. Unser Neubauviertel bekam dadurch ein eigenes Gesicht.
Übrigens kamen meine beiden Söhne, (der Jüngste im historischen Schicksalsjahr - November 1989 geboren), als sie Grundschulkinder waren und wenn sie am Mühlenradbrunnen gespielt haben, sehr oft mit nassen Schuhen oder Strümpfen nach Hause.

Bewohnerinnen und Bewohner Neu-Hohenschönhausens 
bei einem Spaziergang durch "ihren" Kiez - Mühlengrund. 
Foto: Thomas Seidel.
 
Vieles haben wir erlebt. Wichtig erscheint mir aber über Folgendes zu berichten. Und zwar betrifft es die oft gelobten Hausgemeinschaften. Wir waren alle WG-Mitglieder, hatten finanziell und materiell (Aufbaustunden) dazu beigetragen, diese Wohnung zu bekommen. Deshalb war die Zusammensetzung der Mieter sozial und altersmäßig sehr gemischt.
Die Treppenreinigung musste jede Mietpartei auf seiner Etage im Turnus übernehmen. Wenn der andere Mieter nicht regelmäßig dazu beitrug, gab es demzufolge Ärger. Kaum einer aus der Hausgemeinschaft unterstützte bei der Klärung.
Desgleichen bei der geforderten Vorgartenpflege. Wir wollten am Wochenende die Freizeit nach unserer Vorstellung verbringen. Die „Subbotniks“ reichten aus. Bei uns hatte keiner Interesse, im Sommer mit der Hausgemeinschaft im Innenhof zu grillen.
Der oft zitierte Gemeinschaftssinn entsprang wohl der Zuweisung ohne Auflagen?

Infolge der Umgestaltung des Platzes wurden die Klubgaststätte und der Jugendclub abgerissen bzw. geschlossen. 1997 war der Platz in seiner heutigen Form fertig.
Mein ältester Sohn hatte sich im Jugendclub gern aufgehalten und wartete zwei Jahre auf die Eröffnung des Kontaktladens V.I.P. Im Sommer war es soweit. Enttäuscht kam er wieder und erzählte, dass vorwiegend ausländische Jugendliche, sogar aus Kreuzberg, anwesend waren und diese den Ton angaben. Der neue Leiter meinte, die Öffnung sei gewollt, tat aber nichts für ein Miteinander. Somit gingen die hier wohnenden Jugendlichen nicht mehr hin. Im August kam mein Sohn gegen Abend aufgeregt nach Hause, denn er hatte gesehen, wie ein Jugendlicher aus dem Klub von einem anderen niedergestochen wurde. Vielleicht erinnern sich noch Einwohner an das Blumen- und Kerzenmeer? Erst dann wurden Regeln erarbeitet.

Tiefschwarze Gewitterwolken über dem Mühlengrund.
Foto: Uwe Seibt

30 Jahre Hohenschönhausen am Mühlengrund lassen sich am Beispiel der Kaufhalle aufzeigen. 1985 wurde die Kaufhalle als typische DDR-HO-Kaufhalle eingeweiht. Es gab wenig, aber das Sortiment war wie in allen Berliner Kaufhallen gleich. Oft traf man beim Einkaufen Arbeitskollegen oder andere Eltern, Nachbarn und machte ein „Schwätzchen“, während die Kinder sich freuten und sich zum Spielen verabredeten, denn durch Kita, Schule oder Spielpatz in Wohnortnähe waren Kontakte entstanden. Auch Kassiererinnen, wie Frau Neumann (immer freundlich), die hier lebten und arbeiteten, waren einbezogen.
Nach der Wende 1989 zog mit der Währungsreform am 01.07.1990 buchstäblich über Nacht mit der Übernahme der Kaufhalle durch Kaiser's der „Westen“ in unseren Mikrokosmos ein. Das Angebot wurde vielfältiger und ebenso die Gesprächsthemen.
2007 wurde die Filiale geschlossen. Seitdem verwahrlost der Platz zusehends. Die kleinen Geschäfte wie die Schlecker-Filiale, der Blumenladen oder die Reinigung wurden geschlossen. Das Kapital regiert.
Durch die Nähe des Linden-Centers mit den vielen Möglichkeiten gehe ich dort nur einkaufen, wenn ich etwas vergessen habe. Auch der Mühlenradbrunnen, der nach langen Jahren des Stillstands im November 2014 wieder in Betrieb genommen wurde und gepflegte Grünanlagen werten den Platz nicht auf. Der „Grieche“ allein bringt kein Flair, ein individuelles Cafe (Lesecafe) und / oder ein Restaurant wären eine Möglichkeit, denn daran besteht Mangel in ganz Hohenschönhausen. Auch ein Elterncafe ist denkbar, um den wenigen jungen Familien einen Ort zu geben. Meine Kinder wie auch ihre Freunde sind weggezogen, erinnern sich aber gern an ihre Kindheit im Viertel. Für Kiezatmosphäre gehen wir in den Prenzlauer Berg, nach Friedrichshain oder Kreuzberg.

Mühlenradbrunnen mit den 6-Geschossern und dem "Griechen".
Foto: Uwe Seibt

Ich möchte nicht falsch verstanden werden, ich lebe gern „Am Mühlengrund“, auch weil das Viertel überschaubar ist und mehrheitlich „Sechsgeschosser“ gebaut wurden. Vom Balkon meiner 4-Raum-Wohnung im Rotkamp genieße ich den Blick in den grünen Innenhof. Schnell bin ich im Lindencenter und die Vielfalt der Verkehrsanbindung ist optimal. Ebenso finden immer noch „Schwätzchen“ statt.
An meinen Kindern erkenne ich, wie sich das wiederholt, was wir damals begonnen haben, als wir aus einer 2-Zimmer-Wohnung mit Toilette auf halber Treppe und Ofenheizung den Prenzlauer Berg mit seinem Flair ungern verließen - eine Umkehrung findet statt. Die Mischung aus Wohnen und Wohnumfeld macht´s!

"Das Wohnumfeld macht's!" - Seit Jahren stillgelegt und verschlossen, der Verbrauchermarkt.
Foto: Thomas Seidel


Weitere Informationen zum Projekt:

Links:


Dieses Projekt wird mit Mitteln des Bezirkskulturfonds Lichtenberg realisiert.

Bezirkskulturfonds Lichtenberg Berlin

 
   

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